Grippewelle

In der vergangenen Woche meldete der Gesundheitsdienst allein in Wien rund 15.100 Influenza-Neuerkrankungen, womit man offiziell von einer Grippewelle sprechen kann. Muss ich überhaupt erwähnen, dass auch ich mich unter den Erkrankten befinde?

Es klingt vielleicht schrecklich, aber ich muss zugeben, dass ich gegen eine leichte Erkältung ab und zu gar nichts einzuwenden habe. Im Grunde genommen darf man sich eine ärztlich verordnete Auszeit nehmen und eine Krankheit dient immer als gute Entschuldigung, um sich aus dummen Situationen zu winden („Du veranstaltest  einen Spieleabend? Ich habe leider Bronchitis.“). Als mir mein Hausarzt einmal verordnete, die ganze Woche im Bett zu verbringen, Stress zu vermeiden und gut zu essen, konnte ich mich gerade noch davon abhalten, ihm euphorisch um den Hals zu fallen und mit Tränen in den Augen zu fragen, ob ich ihn „Papa“ nennen dürfe.

Was ich aber überhaupt nicht mag, sind Arztbesuche während einer Grippewelle: Zu dieser Zeit erwarten einen ganze Warteräume voll von kranken Menschen, die sich zitternd an alten Ausgaben von Klatschmagazinen festhalten, während sie wie ein wildes Raubtier darauf warten, bis ihr Name aufgerufen wird, damit sie ins Ärztezimmer sprinten und sich ihre Medizin holen können. Am nervigsten finde ich die Leute, die in solchen Räumlichkeiten auch noch Smalltalk führen wollen, sich mir langsam annähern und dann fragen: „Na, bist du auch krank?“. Als würde ich mich freiwillig in das Wartezimmer setzen, nur weil ich nachlesen möchte, was Mette-Marit im März 2009 so getrieben hat.

Deshalb zeigte ich mich ein wenig skeptisch, als ich Anfang dieser Woche wohl oder übel zu meinem Hausarzt gehen musste, um mir Medizin gegen meine Erkältung zu holen. Ich weiß wirklich nicht warum, aber aus irgendeinem Grund glauben die Leute, dass es sozial akzeptiert, ja sogar erwünscht ist, sich im Wartezimmer eines Arztes so ekelhaft wie nur möglich zu verhalten. Es ist wie ein kleines Paralleluniversum, in dem man ohne weiters frei mit seinen Körperflüssigkeiten umgehen darf. Kaum hatte ich den Raum betreten, präsentierte sich mir schon eine bunt gemischte Palette an leidenden Kranken: Eine alte Frau saß in der Ecke und rülpste in regelmäßigen Abständen laut vor sich hin, während ein Mann jedem, der ihm ein offenes Ohr schenkte, seine langwierige Krankengeschichte detailgetreu erzählte und nicht davor zurückschreckte, zur bildlichen Untermalung auch  mal die ein oder andere Wunde zu entblößen. Angesichts meiner Möglichkeiten beschloss ich also, mich neben eine junge Frau zu setzen, die zwar ein bisschen zitterte und ab und zu stöhnte, aber mit Abstand noch am normalsten wirkte.

Kaum hatte ich mich hingesetzt, fing die Frau auch schon an, sich bei mir zu beklagen, wie krank sie nicht war. Das fand ich originell. Hatte sie nicht die Wunden des alten Mannes gesehen? Hatte sie nicht den neuen Rülpser der Dame in der Ecke gehört? Wir waren hier alle krank. Dennoch hörte ich ihr aufmerksam zu, während sie ihre Symptome auflistete. Ich glaube nicht wirklich daran, den Leidenden zu spielen, aber dies war wohl der passende Ort und die passende Zeit dafür und als sie endlich fertig gesprochen hatte, erzählte auch ich ihr von meinen Symptomen. „Naja“, sagte sie, als ich mit meiner Schilderung am Ende war, „das hört sich ja halb so schlimm an. Ich bin halt wirklich krank.“

Oh no, she didn‘t! Ich konnte mich in jenem Moment gerade noch davon abhalten, vor Wut grün anzulaufen und hysterisch schreiend aus meiner Kleidung herauszuplatzen. Mir ging es wirklich nicht gut; wie konnte diese Frau es nur wagen, meine Krankheit anzuzweifeln und zu behaupten, dass ihre dumme Erkältung schlimmer war? Während wir hier alle herumsaßen, gab es Leute, die wirklich arm dran waren und aufgrund der momentanen Grippewelle Spitalbetten füllten - seit Anfang Februar hatte sich die Zahl der Grippe-Neuerkrankungen allein in Wien fast verdoppelt. Meine Sitznachbarin funkelte mich böse an und begann schließlich, provokant zu husten; vermutlich um mir zu beweisen, dass sie mit Abstand am kränksten war. Pah! Nicht mit mir! In jenem Moment beschloss ich also, wie alle anderen Kranken in diesem Raum meine Hemmungen fallen zu lassen und meinem ekelhaften Hustenreiz lautstark nachzugeben.

Ich hustete so tief und verraucht, dass man hätte meinen können, Liza Minnelli höchstpersönlich hätte sich im Wartezimmer jener Arztpraxis wiedergefunden. Als wir so gemeinsam um die Wette husteten, bekam ich schön langsam das Gefühl, als würden wir uns in einem epischen Battle um den Titel der „am meisten unter ihrer Krankheit leidenden Person“ befinden (vielmehr fragte ich mich aber, warum ich nicht mal zum Arzt gehen konnte, ohne in einen Streit verwickelt zu werden). Schließlich verlangte meine Kontrahentin nach einem Glas Wasser und ich zog kurz in Betracht, noch einen drauf zu setzen und jemanden zu bitten, mir zwei Gläser Wasser zu bringen, konnte meinen Wunsch aber nicht mehr äußern, da ich gerade in jenem Moment zum Arzt gerufen wurde und somit den Käfig der kranken Narren endlich verlassen durfte.

Nachdem ich meinen Arzt vergewissert hatte, dass ich ganz sicher nicht im Ausland gewesen war oder rohes Ei gegessen, sondern einfach nur die Wiener U-Bahn genommen hatte (was im Grunde genommen ähnlich ist), verschrieb er mir Medizin, deren Namen ich beim besten Willen nicht aussprechen kann. Seit Mitte der Woche liege ich nun schon im Bett herum und mein einziger Stress besteht darin, dass ich manchmal meinen Mittagsschlaf frühzeitig beenden muss, damit ich nicht den Anfang von „Richterin Barbara Salesch“ verpasse, aber dennoch ist kein Ende meiner Erkältung in Sicht. Habt ihr, liebe Leser, vielleicht ein wirksames Hausmittel oder andere Tipps für einen gewissen Kolumnisten mit einer Vorliebe für bissige, rothaarige Gesetzesdiener?

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